vorige Arbeit
nächste Arbeit
X

Rettet Europa III 2014

Info
Es wurde kein Album ausgewählt!
 

Rettet Europa III

Tempel Museum, Etsdorf
2014

VOM URSPRUNG DER RETTUNG EUROPAS

VON R.F.O. AUKOFER

Wer heutzutage den Begriff „Rettet Europa“ in die Suchmaschine Google eintippt, findet dort innerhalb einer Drittel Sekunde Rechnerzeit bereits 76.200 Ergebnisse. Ein Beleg für die herausragende Leistung, die der Freien Klasse München mit ihrer Arbeit „Rettet Europa“ gelungen ist. Damit auch der Laie ein solches Google-Ranking richtig einschätzen kann, sei ein Vergleich gestattet: Gerhard Richters im selben Jahr entstandene Spitzenarbeit „Kleine Badende“ erreicht bei Google lediglich 866 Hits. Der digitale Kenner wird an dieser Stelle einwerfen, dass beides nicht vergleichbar sei, denn die Ergebnisse zu Gerhard Richter konzentrierten sich auf „sein“ Kunstwerk, während die Hits der Freien Klasse alles Mögliche umfassen würden: Aktuelle Tageszeitungsartikel, die Mär von der Brüsseler Bürokratie genauso wie Verschwörungstheorien rechtsextremer Parteien, die mit „Europakritik“ Morgenluft atmen. Nur der geringste Teil seien Kunstausstellungen. Dieser Einwand ist weder richtig noch falsch, vielmehr verweist er auf die unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen. Richters „Kleine Badende“ ist eine Ware, die gerahmt oder als Multiple gehandelt wird, „Rettet Europa“ hingegen ein Virus. Weil dieses Wort, obwohl es die kleinste lebendige Einheit bezeichnet, so einen negativen Beiklang hat, könnte ich auch schreiben: Das eine ist Hardware, das andere Software, die „Kleine Badende“ ist eine gemalte Figur, „Rettet Europa“ eine Denkfigur.

 

Dieser kleine Exkurs entlang der Grenze zwischen analogen und digitalen Welten ist hilfreich, um sich nun der künstlerischen Pionierqualität der Freien Klasse adäquat nähern zu können: sich an Rändern aufhalten, wo sonst niemand ist, dort Dinge denken, Sachen machen, Erzählungen entwickeln, die oberflächlich gesehen speziell oder abstrus erscheinen, hintergründig betrachtet eher seismisch sind und auf kommende Erschütterungen verweisen. Der von der Freien Klasse geschaffene Begriff „Rettet Europa“ ist hierfür ein schönes Beispiel. Auf das Jahr 1993 datieren die ersten Vorstudien der Freien Klasse. Angefertigt wurden sie in Sofia, das sich gerade anschickte aus seiner kommunistischen Vergangenheit herauszutreten und nachhaltig zu den gelben Sternen strebte. Auf Einladung des Nationalen Kulturpalastes hielt sich die Freie Klasse in Bulgarien auf. Sie zeigte dort in der Ausstellung „Der gelbe Planet“ Möglichkeiten einer neuen gemeinsamen Welt. Damals war Europa Zukunft, Sehnsucht, Teil der Lösung und nicht eines Problems. Eine heute unvorstellbare Epoche, in der niemand nur die Vermutung hegte, Europa müsse überhaupt je gerettet werden. Eine Zeit in der Google noch nicht existierte und Hans-Dietrich Genscher gerade mal kein deutscher Außenminister war. Derjenige Genscher, der den frühen Ruf der Freien Klasse „Rettet Europa“ heute im Munde führt und im Internet via Handelsblatt-Shop verbreitet. Wie konnte es zu diesem rasanten Sprung aus dem künstlerischen Underground in den Mainstream der Medien und der großen Männer kommen?

 

Ein Jahr nach den bulgarischen Trockenübungen auf Wiesengrund startete die Freie Klasse 1994 ihre Kampagne unter dem nun berühmten Titel „Rettet Europa“ in einem im Münchner Szeneviertel Glockenbach pleitegegangenen Supermarkt. Der Freien Klasse gelang es, das in Bulgarien erstandene russische Faltschlauchboot trotz der vermeintlich fremden Kultur und Technik nicht nur zu montieren, sondern sogar damit erfolgreich in einen See zu stechen. Das gelbe Boot war so voll, wie damals ein Boot nur voll sein konnte. Und ging nicht unter! Ganz im Widerspruch zu den Prophezeiungen der Mainstream-Medien und im Gegensatz zum Grundrecht auf Asyl. Ein riskantes Manöver des Gelben Bootes, skizzierte es doch den heutigen Untergang europäischer Werte im Mittelmeer, lange bevor die Insel Lampedusa ihren mörderischen Beiklang erhielt. Nach langer Fahrt durch Europas stehende Gewässer erreichte das Gelbe Boot der Freien Klasse gut zehn Jahre später den Bottnischen Meerbusen. Es landete im Hafen von Vaasa, gleich neben der dampfenden kommunalen Sauna. Zu einer Zeit also, in der in Deutschland solche Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie zum Beispiel Strom und Wasser längst privatisiert wurden. Am Strand des Bottnischen Meerbusens entfaltete die Freie Klasse 2005 ihren gelben Sternenkreis: „Rettet Europa II“. Unter dem Motto: „Zwölf Sterne müsst Ihr sein“ werden die gelben Handschuhe seitdem von Land zu Land und von Stadt zu Stadt gereicht als Zeichen europäischer Verbundenheit. Das Gelbe Boot ist weiter in Fahrt. Etwa zehn weitere Jahre später wird es wieder seine Mission erfüllen. Zur Zeit soll es sich in der Vils befinden, auf dem Weg zu „Rettet Europa III“, das am Fuße des zukünftigen Etsdorfer Europatempels nötig sein wird. Der zentraleuropäische Fluss ist Teil des weitverzweigten Gewässernetzes der Donau. Von diesen realen und historischen Verbindungen zurück zu den virtuellen. Im digitalen Netz wird erkennbar, wie es um Europa im Europawahljahr 2014 bestellt ist. Der Begriff „Europa hat Zukunft“ erreicht in der Suchmaschine Google lediglich halb so viele Ergebnisse wie „Rettet Europa“. Im Google-Ranking der Kunstwerke ganz oben ist übrigens Picassos „Guernica“. Es schafft 2.050.000 Hits und das dreimal so schnell wie die Freie Klasse. Zum Glück können jedoch diese beiden Arbeiten wirklich nicht miteinander verglichen werden: Welcher Künstler möchte schon ein Guernica malen müssen, oder wer gar ein zweites erleben?