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Hilfe Heilt Helfen 1996

Info
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Hilfe Heilt Helfen

Galerie Christian Gögger

in FREIE KLASSE MÜNCHEN mit

WOLFGANG GROH - RALF HOMANN - WILHELM KOCH - GOTTFRIED WEBERJOBE

München
1996

HHH ist eine Organisation von Helfern und Mithelfern. Diese stellen mit ihrer Arbeitsgemeinschaft einen wesentlichen Bestandteil im organisierten Zusammenwirken dar. Organisation meint im Falle von HHH daher ein System von institutionalisierten Regelungen, das der gemeinsamen Verfolgung eines Zieles – des Helfens – dient.

HHH gliedert sich in mobile autonome Hilfskommandos und ein Headquarter (HQ). Die Hilfe wird dort geleistet, wo sie notwendig ist. Die Hilfskommandos nehmen ihre Hilfsaufgaben vor Ort wahr. Die Finanzierung der Hilfen liegt ganz in ihrer eigenen Verantwortung.

Das HQ beschränkt seine Tätigkeit auf die Entwicklung und Koordinierung langfristiger Strategien. Es unterstützt die autonomen Hilfskommandos mit finanziellen Hilfen aus einem Hilfsfond, der aus Beiträgen der autonomen Hilfskommandos gespeist wird und auch der Finanzierung des HQ dient. Es übernimmt zentrale Aufgaben.

 

Portrait des Helfers

von Dr. H. Schnell (aus der Rede zur Gründung von HHH)

Was sollte einen Helfer auszeichnen?

Zunächst muss ein Helfer sich vor allem um seine eigene Reife kümmern: physisch, intellektuell, sozio-emotional. Er weiß, helfen kann er nur, wenn er im ursprünglichen Sinne des Wortes ein potenter Mensch ist, eine Persönlichkeit mit dem Willen und den Mitteln zu handeln. Er hat die Erfahrung gemacht, dass er für ein wirkungsvolles Leben viel Kraft braucht und weiß, dass ein vernachlässigter Körper zu Energieverlusten führt.

Er ist hinreichend intelligent, achtet geistige Arbeit und den Reichtum der Ideen; verkauft sich weder unter Preis, noch tut er so, als hätte er mehr zu bieten, als er wirklich besitzt. Gedanken sind ihm wichtig: Er liest! Er lässt das Erlesene für sich arbeiten.

Wichtiger noch: In der sozial–emotionalen Welt ist er zu Hause, bei sich und bei anderen. Er hat sich ein ausgedehntes Repertoire von diesbezüglichem Können erarbeitet und ist dadurch im Stande, spontan und wirksam auf das Spektrum menschlicher Bedürfnisse einzugehen.

 

Ein guter Helfer weiß:

Helfen ist ein hartes Stück Arbeit.

 

Öffentlichkeitsarbeit

ÖA begreift den Menschen als „Schnittmenge“ seiner Biografie mit seinen Beziehungen, zu welcher wir nun eine Beziehung herstellen und pflegen wollen. Die Ansprache erfordert die Zusammenfassung der „Schnittmengen“ in Zielgruppen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Biografien bzw. Beziehungsgeflechte.

Jeder Mensch hält Informationen, die ihn persönlich bestätigen, für wahrer als solche, die seiner Weltsicht zuwiderlaufen, sie gar in Frage stellen. Wer überzeugen will, muss Informationen wie Tatsachen präsentieren. Zum Beispiel: „HHH hilft Hund – über 3400 noch verschollen, darunter 12 Terrier.“ Als Tatsache gilt alles, was zur Schlagzeile herangereift ist. Bei Personen mit Hochschulreife empfiehlt sich jede Information mit zwei Quellen oder Argumenten zu versehen, bei Akademikern empfiehlt sich zusätzlich die Angabe einer Fußnote oder einer Autorität. Bei Personen, die schnelle Entscheidungen treffen (Manager, Infoelite), ist auf eine plausible Argumentation zu achten. Besonders plausibel sind alle Argumente, die allgemein akzeptierte Vorurteile oder Klischees bestätigen.

ÖA will, dass möglichst viele Menschen über HHH reden. Das sichert die Existenz von HHH. Kritik an HHH ist genauso nützlich wie Lob, entscheidend ist, dass unsere politischen Leitbilder Maßstab der jeweiligen Kritik sind.

 

 

Genussvoll Scheitern. Eine knappe Wegbeschreibung

Freie Klassen sind ein Produkt der akademischen Freiheit; nicht so im vorliegenden Fall. Die Freie Klasse München ist ein Produkt des akademischen Stillstands, zu einer Zeit, als der Kunstmarkt das Produkt – zeitgenössische Kunst jäh und Schwindel erregend beschleunigte. Die großen Institutionen hatten darunter zu leiden, denn man drängelte sich in Sachen Kunst ganz allgemein auf der Überholspur, nur die Schwertransporte eben nicht. Die besondere Schwierigkeit für die Münchner Akademie erwuchs nicht aus dem Umstand, dass dieses Rennen für sie außer Frage stand, sondern vielmehr in der Uneinigkeit darüber, wer den Karren fährt und wer vorne sitzen darf. Man war nämlich eifrig damit beschäftigt, eine Hierarchie der Kunstarten und Lehrmeinungen zu installieren, eine Ideologisierung, die ihre Motivation wie ihren Ausgangspunkt in den Machtattitüden einiger Professorenhirne hatte. Darüber bildete sich an der Akademie – sofern die Studenten sich darin einwickeln ließen – eine intolerante Klassengesellschaft aus, die bis in die Cafeteria hinein eine giftige Atmosphäre erzeugen konnte.

Thomas Demand, Wolfgang Groh, Hermann Hiller, Ralf Homann, Wilhelm Koch und Gottfried Weber-Jobe haben das zu spüren bekommen und zunächst, ungeachtet wie jeder einzelne in dem ganzen Betrieb untergekommen war, ein ihnen gemeinsames Anliegen formuliert: Freiheit. In der Logik der Zeit, wie hätte es anders sein können, bildeten sie sofort eine eigene Klasse, eben die Freie.

Diese Gründung verdankte sich nicht hochschulpolitischem Kalkül und entwickelte in der Folge auch keines. Der Zusammenschluss war wesentlich davon getragen, sich den institutionellen Rahmenbedingungen zu verweigern und noch darüber hinaus, sie zu konterkarieren. Um so mehr hat die Bildung der Freien Klasse für den fälligen Generationenwechsel an der Münchner Akademie ein Zeichen gesetzt, gerade auch für die Studenten, von denen sich einige recht willfährig in den Dienst ihrer Professoren und deren Revierkämpfe gestellt hatten.

In der Gruppe eröffneten die unterschiedlichen Fähigkeiten, Ausbildungen, Kontakte, Kompetenzen die Möglichkeit für ­multivalente Projekte. Griffen sie oben noch nach den Sternen („Der Planet der Freien Klasse“, Sofia 1993) standen sie auch gleich wieder mit beiden Beinen im Untergrund („Unter Tage-

Aktion“, 1992 München). Selbstbewusst nahmen sie ihre künstlerischen, spielerischen und kritischen Sendungen ernst und deren Promotion in die eigenen Hände.

Auf diesem Weg – da sie mich schätzten oder war es nur wegen der blassrosa Fassade des Gebäudes, in dem sich meine Galerie befand? – , wurde ich mit dem Projekt „Hilfe Heilt Helfen“ (1996) zum Komplizen der Freien Klasse München. Der schon angesprochene Widerwille gegen jegliches organisierte Sektierertum materialisierte sich in der Galerie in Form einer Hilfseinrichtung. Unter dem Motto „Eine Hand wäscht die andere“ wurde ein ebenso absurdes, komisches wie perfektes „Corporate Design“ durchdekliniert. Dabei wurden unpassende Gegenstände mittels Einfärbung passend gemacht, widerstrebende Begriffe durch den Zusatz „Hilfs-“‚ in die Organisation stimmig eingeführt. Das Spielerische und die heftige Übersteigerung an diesem Projekt verdeckte nur für einen kurzen Moment die präzise Nachahmung solch perfider Strategien wie die Entlarvung ihrer unterschwelligen Infiltrationsmethoden. Das dieser Aktion eigene Hilfsfahrzeug, so prothesenfarben wie alles andere auch, aufwändig umgerüstet und vielteilig ausgerüstet, verhalf uns zu einer aufregenden Fahrt zur Kunstmesse nach Turin und zu einem spektakulären Auftritt dazu.

Noch im selben Jahr wurde der Freien Klasse der Münchner Förderpreis zuerkannt (mein übrigens einziger und damit größter Erfolg als Mitglied dieser Jury), der aber wegen eines Formfehlers nicht zugeteilt wurde. Die ein Jahr später erfolgende Wiedergutmachung erfüllte sich leider nicht. Das Aus kam in der ersten Runde, und wieder war ich in der Jury.

Ist das Scheitern einer Gruppe leichter?

Ich meine: Auf alle Fälle, ja!

 

Christian Gögger