Hermann Hiller, ein Designer zwischen Kunst, Objektgestaltung und Mode

Der Maßanzug aus gelben Maßbändern, das Strandkleid aus Strandmatten, das Hauskleid aus Hausbauplanen, der Tagesanzug aus Tageszeitungen, das Arbeitskleid aus Gummihandschuhen: Hermann Hiller nimmt die Dinge beim Wort und verfolgt – den Dadaisten ähnlich – die Dekonstruktion: allerdings nicht die Dekonstruktion der Sprache, sondern der Bedeutung von Bezeichnungen. Banale Materialien wie Baunetze, Maßbänder, oder Einweghandschuhe transformiert Hiller zu Bekleidungsmaterial und verändert dadurch seinen Sinn. Es sind Materialien, die gewöhnlich nur nach ihrem Gebrauchswert beurteilt werden, jedoch durch die Umsetzung in ein anderes Medium, wie das der Kleidung, eine neue, zusätzliche Aussage erhalten, auch die des Erzählens. Stoff des Erzählens sind Landkarten oder Spielkarten, Straßenoberflächen oder Maßbänder. Durch die Zerstörung von Wertvorstellungen – in diesem Fall der Zerstörung des Banalen – löst Hiller einen Verfremdungseffekt aus. Sein mit zehn Kilo Straßensplit beklebter „Straßenanzug“ gleicht sich so sehr der Straße an, dass der Träger Teil der Straße wird und verschwindet. Im Schnitt eines klassischen Sakkoanzugs gleicht dieser der Mehrzahl der Herrenanzüge auf der Straße und ist doch mit keinem vergleichbar, welcher auf der Straße je gesehen wurde, erklärt Hermann Hiller.

Der ästhetische Reiz von Gebrauchsgütern

Im Laufe der Geschichte findet man immer wieder die Annäherung von Kunst und Mode, sei es, dass die Kunst das Alltägliche, Flüchtige und Vergängliche aufnimmt oder die Mode abstrakte Ideen oder Visionäres verarbeitet. Schon Marcel Duchamp hatte 1916 mit seinem Urinoir ebenso wie in den 1960er Vertreter der Pop-Art Triviales und Alltägliches dem Alltag entrissen und sie zum Thema der Kunst gemacht. Auch Hermann Hiller setzt die Idee in den Mittelpunkt. Seine Anziehobjekte führen die Tradition der Pop-Art fort ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Hiller gewinnt – im Sinne der Pop-Art – in einer fast spielerischen Weise banalen Gebrauchsgütern und Konsumobjekten einen ästhetischen Reiz ab. Sein Abendkleid besteht aus Verpackungsgurten, sein „Spielanzug“ aus der Filzauflage eines Roulettetisches und sein „Damenkostüm“ aus Spielkarten.

Bekleidung für Alltagsgegenstände

Hermann Hiller kreiert nicht nur Kleider für Menschen, sondern auch für Autos und Lampen: eine Lampe in einer Tasche wird zur „Taschenlampe“, eine riesige „Autotasche“ verpackt den PKW. Das „weggepackte“ Auto verweist auf die immobile (weil Luft verschmutzende und Straßen verstopfende) Autowelt der Zukunft.

Verpackt in ein billiges, reißfestes Kunstfasergewebe (wie jenes der karierten Transporttaschen) verliert das Auto seine Funktion als Statussymbol. „Überflüssig gewordene Dinge“ – wie das Auto – verschwinden so symbolisch, um sie dann ganz abzuschaffen.
Dagegen wurden Umzugsdecken zur Bekleidung für die mobile Gesellschaft, da wir doch täglich „umziehen“, von zu Hause zur Arbeitsstätte, von der Arbeitsstätte zur Kneipe, zum Kino oder zum Sportstudio. Die „Deckenkleidungen“ wurden 2002 live im Münchner i-camp-Theater auf einer dort installierten Eisfläche geschneidert. Zwei riesige Umzugskisten dienten als Bühne, Schneider- und Nähtisch. Billige, graue Umzugsdecken aus gepressten Recycling-Flusen werden am Körper modelliert; da ist noch eine Öffnung nötig, hier muss der Stoff gerafft, dort etwas drangesetzt werden. Planen, improvisieren, schneiden,
umformen, beurteilen – der Entstehungsprozess skulpturaler und dennoch tragbarer Arbeiten wird so sichtbar gemacht. Die Schere ersetzt den Meißel, die Nadel ersetzt den Leim.

Der ästhetische Reiz von Gebrauchsgütern

Im Laufe der Geschichte findet man immer wieder die Annäherung von Kunst und Mode, sei es, dass die Kunst das Alltägliche, Flüchtige und Vergängliche aufnimmt oder die Mode abstrakte Ideen oder Visionäres verarbeitet.

Schon Marcel Duchamp hatte 1916 mit seinem Urinoir ebenso wie in den 1960er Vertreter der Pop-Art Triviales und Alltägliches dem Alltag entrissen und sie zum Thema der Kunst gemacht. Auch Hermann Hiller setzt die Idee in den Mittelpunkt. Seine Anziehobjekte führen die Tradition der Pop-Art fort ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Hiller gewinnt – im Sinne der Pop-Art – in einer fast spielerischen Weise banalen Gebrauchsgütern und Konsumobjekten einen ästhetischen Reiz ab. Sein Abendkleid besteht aus Verpackungsgurten, sein „Spielanzug“ aus der Filzauflage eines Roulettetisches und sein „Damenkostüm“ aus Spielkarten.

Hermann Hiller ist kein Modedesigner im eigentlichen Sinn.

Geboren 1963 in München studierte Hiller Architektur und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München. Nach seinem Abschluss als Diplom-Ingenieur 1990 weitete er sein Betätigungsfeld immer weiter aus, besonders mit den Studierenden der Münchner Kunstakademie, wo er seit 1997 einen Lehrauftrag begleitet. Seine Installationen und Anziehobjekte berühren die Architektur, werden Architektur. Nicht minder unkonventionell sind Hillers Bauvorhaben, die er zusammen mit Markus Lanz und Toni Thiele als Architekten und Designgemeinschaft kwin realisiert.

Schwerpunkt sind die Projekte bei Schloss Guttenburg (Oberbayern), bei der unter anderem ein Neubau als Ausstellungsgebäude entsteht. Bei diesem Vorhaben treiben Hiller zusammen mit Nico Forster die Möglichkeiten des aktuellen Bauens an die Grenzen: eine Architektur des Experimentes und des Experimentierens wird dem Endprodukt Haus vorangestellt. Unter anderem werden nur Baumaschinen vom Schrottplatz verwendet und der Rohbau dient als Performance-Kulisse. 1999 erhielt Hiller den Förderpreis für Architektur der Stadt München, begleitet von der Ausstellung Helden haben kein Gepäck in der Münchner Architekturgalerie. 2001 arbeitete Hermann Hiller auf Einladung des Goethe-Instituts in Rio de Janeiro vier Wochen mit der brasilianischen Textilkooperative Coopa Roca in der Favela Rocinha in Rio de Janeiro. Da in Rio viele Menschen als lebende Litfasssäulen herumlaufen, beschloss Hiller das „Kleidungsstück“ des Sandwich-Man/Woman mit seinen/ihren Urhebern zu identifizieren und ließ Porträtfotos der jeweiligen Eltern auf die Vorder- und Rückfront anstelle der üblichen Werbung aufbringen.

Das Ergebnis wurde in der Ausstellung Retalhar 2002 in Sao Paulo und 2003 in Rio präsentiert.

2003 wurden nun umgekehrt 5 Näherinnen aus Rocinha nach Berlin eingeladen, wo an der Volksbühne eine Art Nähperformance durch Hermann Hiller inszeniert wurde. „frufru de escada“ wurde sie genannt, wo auf geblümte Kittelschürzen brasilianische Handarbeiten appliziert wurden und das Geräusch der Nähmaschinen durch den Verstärker zum Sound wurde.

Auch bei diesem Projekt ging Hermann Hillers Konzept auf, dass Kleidung für Lebensumstände, für Lebenszusammenhänge, für Beruf und für Freizeit steht. Er greift die Vorstellung auf, dass Tätigkeiten auf den Menschen und seine Kleidung abfärben, wie zum Beispiel an dem Schreinerkleid Holzspäne hängen bleiben. „Ich spreche nicht von der Realität, ich spreche von Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind umgesetzt, sind Material geworden. Also keine Mode sollen die Kleider sein, nur in diesem Sinn materialisierte Vorstellungen. Wichtig dabei bleibt dennoch, dass die Kleider genäht sind …. und natürlich getragen werden“, erklärt Hiller. Seine Anziehobjekte stehen demnach im Grenzbereich von Kunst, Objektgestaltung und Modedesign. Vor allem aber regen sie durch Witz und Ironie zum Nachdenken und zum Hinterfragen an und entlocken dem Betrachter ein amüsiertes Lächeln.

Ingrid Loschek